Keyenberg
Keyenberg gehört mit vier anderen Dörfern
zum letzten großen Umsiedlungsabschnitt
für Garzweiler II
Keyenberg hat 820 Einwohner*innen. Der Ort wird zusammen mit mit Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath bis ca. 2027 an einen neuen Ort nördlich von Erkelenz umgesiedelt. Keyenberg ist das dem Tagebau am nächsten gelegene Dorf und soll gegen 2027 bergbaulich in Anspruch genommen werden.
Prägende Gebäude von Keyenberg sind die Kirche Heilig Kreuz in der Ortsmitte und das Haus Keyenberg.
Das Dorfleben verlagert sich bereits in den neuen Ort nördlich von Erkelenz, 2020 wird dort das erste Schützenfest gefeiert.
Zeitleiste Umsiedlung Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich & Berverath
Planung der Umsiedlung wird konkret
Umsiedlungsstandort wird gesucht
Wahl des neuen Standortes
Planung des neuen Ortes
Baubeginn Neu-Keyenberg
Beginn der Umsiedlung
Entwurf Kirche vorgestellt
Kirchen verkauft
Abriss von Keyenberg
Abriss von Kuckum & Westrich
Abriss von Berverath
Alle Grafiken/Karten in der Zeitleiste: Stadt Erkelenz
Alexander Tetzlaff
Alexander Tetzlaff ist bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr in Keyenberg aufgewachsen. Seine Familie musste dann aus privaten Gründen ihr Haus aufgeben und sind aus dem Ort weggezogen. Nach seinem Studium ist Alexander zusammen mit seiner damaligen Freundin und heutigen Frau wieder nach Keyenberg zurückgezogen. Bemerkenswert daran ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Umsiedlung bereits kurz bevorstand, Alexander also wusste, dass er seinen Wohnort bald wieder aufgeben wird müssen.
Stell dich bitte vor.
Mein Name ist Alexander Tetzlaff. Ich bin bis zu meinem 13. Lebensjahr in Keyenberg aufgewachsen, dann bin ich mit meinen Eltern weggezogen, weil wir aus privaten Gründen das Haus in Keyenberg nicht mehr halten konnten. Mein Vater ist krank geworden und meine Mutter wollte dann zurück in ihre Heimat nach Korschenbroich. Da habe ich dann in Kleinenbroich, um den Ort direkt zu nennen, gewohnt bis 2012, bis ich dann mit dem Studium anfing. Ich habe dann Religionspädagogik studiert, das heißt ich bin beruflich auch bei der Kirche angestellt.
Ich habe mich nach dem Studium entschieden wieder zurückzukehren und bin dann mit meiner heutigen Frau, damals noch Freundin nach Keyenberg, Alt-Keyenberg, gezogen, mit dem klaren Bewusstsein diesen Prozess mitgestalten zu wollen. Ich habe mich auch schon vorher engagiert in den Vereinen, in der Bruderschaft war ich von klein auf dabei, ich stehe seit letztem Jahr als Brudermeister vor und schon seit 2014 war ich zweiter Brudermeister, also Stellvertreter.
Das ist mein großes Baby hier im Ort, diesen Verein zu unterstützen und dafür zu leben und zu sehen, dass die Bruderschaft als Verein, oder die Vereine allgemein, ich bin auch im Karnevalsverein tätig, gestärkt und gefestigt wird. Immer wenn irgendetwas ansteht, finde ich das sehr gut, weil es das Dorf- und Ortsleben belebt und das ist so ein bisschen mein Ziel das mitzugestalten.
Ich bin sehr stolz darauf als 25-Jähriger auf so einen Posten hier in Keyenberg gewählt worden zu sein. Dass die Keyenberger Bruderschaft das so wollte und unterstützt hat, ist für mich ein sehr gutes Zeichen, denn Tradition muss auch immer wieder umgedacht werden und wir müssen neue Wege gehen um attraktiv zu bleiben, das steht fest.
Was ist eine Schützenbruderschaft?
Die haben sich in unserer Region im Mittelalter, im frühen bis ins späte Mittelalter, gegründet. Mit der Schützenbruderschaft sollte neben der kirchlichen Gemeinde eine Sozialstruktur entstehen, es war sozusagen eine soziale Vereinigung von Menschen, die sich darum kümmerten, dass z.B. die Mitglieder ein ordnungsgemäßes christliches Begräbnis bekommen, besonders die, welche nicht so wohlhabend waren und kein würdiges Begräbnis bekommen hätten.
Zum anderen ein Aspekt, der Schutz der Heimat, der natürlich auf unsere heutige Situation bezogen sehr heikel zu sehen ist. Aber es waren sozusagen Bürgermilizen, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Heimat im Falle eines Überfalles oder Ähnlichem zu verteidigen. Im späten Mittelalter, als der Verteidigungscharakter nicht mehr so wichtig war, weil sich die Waffen und das System überhaupt veränderte, kamen sogenannte Söldnertruppen auf, die für die Adligen, für die hohen Herren, gekämpft haben und die Orte, die zu ihrem Lehenbesitz gehörten mitverteidigt haben.
Dadurch haben sich die Bruderschaften etwas verlagert ins kirchlich-religiöse Leben. Da spielt dann auch die Zeit der Reformationen eine große Rolle. Es ist bewiesen, dass es hier in Otzenrath seit dem 16. Jahrhundert eine protestantische Gemeinde gab. Im dreißigjährigen Krieg wurde die Schützenbruderschaft aus Borschemich von den Otzenrather Katholiken beim Fronleichnamsfest zu Hilfe gerufen, weil die evangelischen Christen in Otzenrath versucht haben die Prozession an Fronleichnam zu überfallen und die Hostien zu schänden. Die Schützenbruderschaft ist dann zu Hilfe geeilt und hat für Schutz und Ordnung gesorgt.
Was ist heute Bruderschaft für mich? Ich möchte den Begriff in die Jetztzeit übertragen. Unser Leitspruch lautet: „Für Glaube, Sitte und Heimat!“. In der heutigen Zeit spielt Heimat eine sehr große Rolle, für uns in unserer Situation sowieso. Ich finde Bruderschaft ist dafür da, Heimat zu bieten. Wir müssen bei diesem Begriff über den Tellerrand hinausdenken, wir dürfen nicht nur ortsbezogen denken. Diesen Gedanken hab ich öfter mal der ganzen Flüchtlingsthematik usw. gehabt. Wir als Bruderschaft, wir haben das auf unserer Fahne stehen und eigentlich ist es auch eine unserer Aufgaben diesen Menschen eine Heimat zu bieten. Menschen anzusprechen, die dazu kommen und zu einer Gemeinschaft dazu gehören möchten.
Wir prägen das Ortsleben mit, einmal im Jahr findet das Schützenfest statt für drei Tage, dieses geht aus ganz alten Traditionen hervor. Eine Schützenbruderschaft ist auch ein Feierverein, ganz klar. Es gibt immer diesen Vorwurf ‚Ihr seid ja nichts anderes als Sommerkarnevalisten‘. Ich sage dann immer, ja ist auch so. Ich bin auch im Karneval aktiv, für mich gehört das Eine in den Sommer, zu feiern, und sich zu treffen und mit den Menschen unterwegs zu sein. Das Andere gehört in den Winter, es ist ein Geselligkeitsverein.
Wie geht ihr als Schützenbrüder mit der aktuellen Situation um?
Das ist ganz schwierig, das öffnet auch Gräben. Ich finde so ein Verein muss solche Gräben auch aushalten. Als Vorsitzender tue ich mir da auch schwer mich zu positionieren. Ich kann immer nur von dem reden was mich persönlich betrifft, wie ich das persönlich sehe, möchte das gar nicht auf den Verein übertragen oder da irgendwas vorgeben.
Was meine persönliche Meinung ist und was mir wichtig ist zu betonen, dass ein Teil übrig bleibt von unserer Heimat und das sind wir Menschen und wir Menschen können gestalten, wir Menschen sind Gestalter. Diese Heimat, die wir jetzt verlieren, ist über Jahrhunderte von Menschen gestaltet worden und es wird eine neue Heimat geben. Für diese neue Heimat kann das Potential da sein diese über Jahrhunderte wieder neu zu gestalten. Ich finde es ist ein Bruch, aber es geht weit darüber hinaus.
Da spielt auch wieder der Gedanke eine Rolle, weiterhin darüber hinaus Heimat zu bieten und die Heimat, das was davon mitzunehmen ist, auch mitzunehmen und das zu beschützen und zu pflegen.
Das Miteinander zu pflegen, dass sich die Menschen treffen, die einzelnen Schützengruppen, dass sie sich verstehen, dass irgendwann mal wieder eine Zeit kommt, wo nicht nur RWE Thema ist bei den Schützenfesten. Bei den Feiern im Ort müssen wir uns auch selbst schützen als Menschen, dass das irgendwann wieder funktioniert. Dass man wieder aufatmen kann und sagen kann, wir haben es doch noch geschafft. Unsere Heimat bleibt Heimat, weil ich weiß an der Ecke XY im Dorf da wohnt der und der und den kann ich mit dem Namen nennen und das ist kein reines Neubaugebiet, was anonym ist. Da bleibt ein Stück vom alten Ort erhalten.
Was macht für dich Keyenberg aus?
Keyenberg macht vor allen Dingen aus, dass es ein Dorf ist, das unglaublich Charakter hat. Es gibt kaum ein Dorf, das so geschlossen viele Hofanlagen hat, die nebeneinander gereiht stehen, so einen Ortskern. Hier ist im Krieg nicht viel zerstört worden und nach dem Krieg viel modernisiert worden. Da sind manche Bauernhäuser, die jetzt auf einmal 70er Jahre Kacheln an den Wänden haben, das ist halt passiert, das war der Geschmack der Zeit, das macht auch den Charakter aus.
Keyenberg macht auch aus, wenn man rund herumläuft, also mal über die Wiesen geht, über die Feldwege, dass das alles nicht so gerade ist, da steht nicht ein Haus neben dem anderen und jedes gleicht sich, sondern jeder hat irgendwo seinen Teil angebaut, angefügt. Eine Hüttenwirtschaft macht Keyenberg aus, wenn man mal hinter die Häuser, hinter die Fassaden schaut. Das finde ich einfach sehr heimelig und sehr schön.
Für mich von Kindheit an macht auch aus, dass Keyenberg einer der Orte ist, wo ein Stück Wald besteht. Kinder können in den Wald zu gehen und da Baumhäuser zu bauen und Gräben zu graben und dann da nach Lust und Laune zu spielen und sich vorzustellen man baut da jetzt eine Ritterburg und man greift sich gegenseitig an oder so. Das war einfach das was es in der Kindheit ausgemacht hat und wo ich auch heute noch sage, dass ich es schön finde an solche Orte zurückzugehen und zu sagen, du kannst dich noch daran erinnern, dass du als Kind hier mal das und das erlebt hast.
Was Keyenberg noch ausmacht und da komme ich wieder zurück, sind die Menschen. Ich finde es ganz wichtig so ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zu haben. Die Menschen immer wieder zu treffen mit denen man befreundet ist, zusammen ein Bierchen zu trinken, zu erzählen und Freud und Leid miteinander zu teilen. Ich finde genauso wie zu den freudigen Festen gehört es sich hier auch, dass zu den traurigen Angelegenheiten, z.B. wenn eine Beerdigung stattfindet, diese Menschen zusammenkommen und dann miteinander reden.
Aktuell wird wieder über das Ende der Braunkohle diskutiert. Wie stehst du dazu?
Von meiner innerlichen Einstellung, was so den Nutzen des Braunkohletagebaus betrifft, bin ich ganz klar Befürworter der Proteste. Dass der Hambacher Forst gerettet wurde finde ich super, gar keine Frage. Das ist meine Meinung. Unser jetziges Problem ist einfach, dass die Umsiedlung begonnen hat und dass ich es gut fände, wenn vielleicht nicht das gesamte Gebiet abgebaggert wird. Ich wäre eher für einen Stopp. Dass der Ausstieg aus der Braunkohle als Energieträger kommen muss ist auch ganz klar.
Für Keyenberg kommt das einfach zu spät. Für Keyenberg als Ort, den jetzt noch mit Ach und Krach versuchen zu retten, also wenn man mal an den neuen Standort geht, die ersten 40-50 Häuser stehen bereits. Ich weiß von sehr vielen die jetzt in Planung sind, die sind im Laufe des nächsten Jahres weg. Das ist ein Problem, da werden wir jetzt nicht glücklicher, wenn wir jetzt hier den Umsiedlungsprozess stoppen. So hart das klingt und da erschrecke ich vor mir selbst, wir haben A gesagt, oder es wurde A gesagt … Andererseits muss man klarstellen, dass wir immer noch nicht freiwillig gehen, sondern wir werden gezwungen. Aber jetzt ist A gesagt worden und wir müssen auch B sagen. Wenn wir weiterhin als Keyenberg überleben wollen.
Das ist es was manche vielleicht nicht verstehen, wenn ich von Keyenberg spreche, dann spreche ich von den Menschen, und alles was sonst noch Keyenberg ausmacht, neben den Kulturdenkmälern. Natürlich ist es eine Schande, dass diese Kirche hier in ein paar Jahren nicht mehr stehen soll. Natürlich ist es eine Schande, dass Braunkohle verfeuert wird in einer Zeit, wo wir eigentlich viel schlauer sind und wissen, dass das der Umwelt nicht guttut. Ich sehe das auf der einen Seite politisch genauso wie die Tagebau Gegner im Hambacher Forst, auf der anderen Seite bin ich Betroffener als Umsiedler und kann diesen Graben nicht überwinden.
Wie frustrierend ist es zu den letzten Orten zu gehören, die noch abgebaggert werden?
Es war von Anfang an frustrierend, ich habe bis zur Leitentscheidung 2015 noch vehement gehofft, dass es anders ausgeht. Da waren schon viele hier vor Ort resigniert, aber ich gehörte da noch zu denen die gesagt haben, an der A61 ist dann Schluss, Borschemich wird das Letzte sein – was sie dann mit Immerath gemacht hätten? Platt und dann wahrscheinlich nichts mehr.
Oft denke ich auch, es war der Wille von RWE einen Ort, der schon jenseits der A61 liegt, so schnell wie möglich leer zu bekommen, damit die ein Argument haben rüber zu gehen über die A61. Das ist das was ich schon oft im Gefühl habe, dass das ein politisches Mittel war um ein Ziel zu verfolgen. Dass Immerath nämlich so früh schon umgesiedelt wurde und so schnell, macht eigentlich von dem Verlauf des Tagebaus keinen Sinn. Das ist das was ich auch vorwerfe, ganz ehrlich. Wenn Immerath nicht so früh umgesiedelt worden wäre, hätten wir eine gute Chance gehabt, weil Holzweiler bleibt stehen. Ich frage mich warum nur dieses ein Dorf stehen bleibt, warum haben sie nicht gesagt, das was noch aussteht lassen wir bleiben.
Letztes Schützenfest
Haus Keyenberg
Neu-Keyenberg
Keyenberg wird zusammen mit Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath nach Nord-Erkelenz umgesiedelt, unmittelbar angrenzend an Borschemich (neu). Der neue Ort wird so gegliedert, dass die alten Orte erkennbar bleiben sollen, zum Beispiel durch bauliche Abtrennung.
Neu-Keyenberg wird seit 2016 errichtet und im Jahr 2021 sind bereits dutzende Gebäude erbaut und bewohnt.
Zwölf Dörfer werden für den Tagebau abgerissen
Fünf Dörfer wurden bereits komplett zerstört, von einem ist fast nichts mehr über und sechs weitere werden zur Zeit umgesiedelt. Zwei bis drei Einzelhöfe, die endgültige Abbaugrenze ist noch nicht ganz sicher, werden gegen Ende des Tagebaus umgesiedelt werden.
Holz (alt)
† 2008
Pesch (alt)
† 2014
Otzenrath (alt)
† 2007
Spenrath (alt)
† 2013
Borschemich (alt)
† 2017
Borschemich (alt)
† 2017
Keyenberg (alt)
† ca. 2026
Lützerath (alt)
† ca. 2022
Immerath (alt)
† ca. 2022
Kuckum (alt)
† ca. 2027
Unterwestrich (alt)
† ca. 2027
Oberwestrich (alt)
† ca. 2027
Berverath (alt)
† ca. 2028
Immerather Mühle
† 2018
Immerather Dom
† 2018
Kirche Keyenberg
† ca. 2024
Eggerather Hof
† ca. 2030
Roitzerhof
† ca. 2035
Weyerhof
† ca. 2035
Otzenrath (neu)
* 2001
Spenrath (neu)
* 2001
Holz (neu)
* 2001
Immerath (neu)
* 2006
Keyenberg, Kuckum, Westrich & Berverath (neu)
* 2016
Borschemich (neu)
* 2006