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Wie funktioniert eine
Umsiedlung?

Wie ein ganzes Dorf innerhalb
von wenigen Jahren verschwindet

Haus Pesch (2006)

Der Tagebau frisst sich so großflächig durch das dicht besiedelte Nordrhein-Westfalen, dass zwangsläufig auch Menschen dafür weichen müssen.

Ganze Ortschaften wurden und werden für den Tagebau abgebaggert. Die Bewohner*innen müssen ihre Häuser und Grundstücke von einem Gutachter bewerten lassen und dann an RWE verkaufen. Verkaufen sie nicht, können sie zwangsenteignet werden.

Für die Umsiedler werden neue Orte erbaut. Oft werden mehrere alte Dörfer zu einem neuen Ort zusamengefasst und an einen bestehenden Ort angegliedert.

Ob die Bewohner*innen das Angebot der gemeinsamen Umsiedlung annehmen oder woanders hinziehen ist ihnen selbst überlassen.

Ort Einwohner*innen Abriss bis
Otzenrath 1569 2006
Spenrath 189 2010
Holz 510 2008
Pesch 230 2009
Immerath 712 ca. 2021
Lützerath 55 ca. 2021
Borschemich 518 2017
Keyenberg 830 ca. 2027
Kuckum 487 ca. 2027
Oberwestrich 24 ca. 2027
Unterwestrich 143 ca. 2027
Berverath 116 ca. 2028
ca. 15 Jahre vorher
Braunkohleplanverfahren
Ungefähr 15 Jahre vor der bergbaulichen Inanspruchnahme des betreffenden Ortes startet das Umsiedlungsverfahren. In einem ersten Schritt wird ein Braunkohleplan „Umsiedlung“ aufgestellt. In diesem werden die umzusiedelnen Ortschaften und der Zeitraum der Umsiedlung festgelegt. Außerdem wird die energiepolitische Notwendigkeit dieses Abbauschrittes erläutert, sowie eine Sozialverträglichkeitsprüfung durchgeführt.
ca. 15 Jahre vorher
ca. 13 bis 14 Jahre vorher
Bestimmung der neuen Ortslage
Die Bezirksregierung Köln und die jeweilige Kommune (Im Fall von Garzweiler II Erkelenz bzw. Jüchen) legen mögliche Standorte des neuen Ortes fest. Aus diesen Standorten wählt die Bevölkerung auf Grundlage von Informationsmaterial- und Veranstaltungen den Umsiedlungsstandort.
ca. 13 bis 14 Jahre vorher
ca. 13 bis 9 Jahre vorher
Detailplanung & Errichtung der neuen Infrastruktur
Nachdem der Umsiedlungsstandort bestimmt ist geht es an die Detailplanung. Dazu wird zum Beispiel eine Befragung durchgeführt, wie hoch der Anteil der BewohnerInnen ist, welche tatsächlich mit in den neuen Ort ziehen. Diese Quote schwankt zwischen ca. 50% und 80%. Außerdem wird der Flächenbedarf der landwirtschaftlichen Betriebe und sonstiger Gewerbe erhoben und daraus der Gesamtflächenbedarf ermittelt. Auf Basis dieser Daten wird dann am Umsiedlungsstandort die notwendige Infrastruktur (Straßen, Kanal, Stromnetz, etc) errichtet.
ca. 13 bis 9 Jahre vorher
ca. 10 Jahre vorher
Umsiedlung
Ungefähr 10 Jahre bevor der alte Ort komplett verschwunden sein wird, stehen im neuen Ort die ersten erschlossenen Grundstücke für den Hausbau zur Verfügung. Ab diesem Zeitpunkt haben die Bewohner des alten Ortes den „Umsiedlerstatus“. Ab jetzt können, bzw. müssen die Umsiedler ihre Grundstücke an RWE verkaufen und im neuen Ort neu bauen bzw. umziehen.
ca. 10 Jahre vorher
ca. 7 bis 1 Jahr vorher
Abriss und Rodungen
Nach einer gewissen Zeit der Umsiedlung wird begonnen erste Gebäude im alten Ort abzureissen. RWE spricht von „konzeptionellem Rückbau“. Damit ist gemeint, dass auf Grundlage verschiedener Interessenlagen (des Bergbautreibenden, der Bewohner, des Verkehrs, der Sicherheit, etc) ein Rückbaukonzept erstellt wird, aus welchem hervorgeht, welche Gebäude wann abgerissen werden und welche Regeln dabei zu beachten sind (Mindestabstände, Ruhezeiten für Flora und Fauna, etc). Neben den Gebäuden und der Infrastruktur werden natürlich auch Bäume und Wälder gerodet, wobei dies laut Braunkohleplan „Garzweiler II“ so spät wie möglich geschehen soll.
ca. 7 bis 1 Jahr vorher
ca. 3 bis 1 Jahr vorher
Archälogische Grabungen
In den Orten, welche für den Tagebau Garzweiler abgerissen werden, befinden sich einige Bau- und Bodendenkmäler. RWE ist dazu verpflichtet, diese Denkmäler vor der Inanspruchnahme des Geländes durch den Tagebau zu dokumentieren. Dazu werden z.B. nach dem Abriss historischer Gebäude wie etwa Kirchen oder Rittergüter umfangreiche Grabungen durch das Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland durchgeführt.
ca. 3 bis 1 Jahr vorher
ca. 1 Jahr vorher
Ende der Umsiedlung
Im Laufe der Umsiedlung werden immer weitere Teile des Ortes abgerissen und die Infrastruktur (Straßen, Beleuchtung, Kanalnetz, etc) zurückgebaut. Oftmals sind die letzten Bewohner des Ortes die örtlichen Landwirte, da deren Umsiedlung sich besonders schwierig gestaltet. Bewohner, welche nicht freiwillig an RWE verkauft haben können nun zwangsenteignet werden. Sobald die letzten Gebäude abgerissen sind wird das Gelände von allem befreit, was die Schaufel des Braunkohlebaggers beschädigen könnte und die alte Ortslage wird abgebaggert und verschwindet in einem 250 Meter tiefem Loch.
ca. 1 Jahr vorher

Die gemeinsame Umsiedlung

Laut Braunkohleplan Garzweiler II (Grundlage der Durchführung des Tagebaus) ist eine geschlossene Umsiedlung der Bevölkerung in den alten Orten erstrebenswert. Es heißt, es sei Ziel der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, dass möglichst viele Bewohner*innen mit an den neuen Ort ziehen. Im Braunkohleplan sind folgende Vorteile beschrieben:

0%
Otzenrath & Spenrath
Umsiedlerquote
0%
Holz
Umsiedlerquote
0%
Immerath, Pesch & Lützerath
Umsiedlerquote
0%
Borschemich
Umsiedlerquote
0%
Keyenberg & Kuckum
Umsiedlerquote

Die Umsiedlerquote hat sich bei den letzten Umsiedlungen bei 55% eingependelt. Laut Braunkohleplan ist eine Quote zwischen 80% und 50% ausreichend um am neuen Ort das Gemeinschaftsleben „im Wesentlichen zu erhalten“. 

Umsiedlungen im Bereich Garzweiler II wurden und werden im Block durchgeführt und es werden auch mehrere Ortschaften an einen Standort zusammengefasst. Otzenrath, Spenrath und Holz wurden gemeinsam nach Hochneukirch-Nord umgesiedelt, Immerath, Pesch und Lützerath nach Kückhoven-West und Borschemich wurde an Erkelenz angegliedert. Der aktuelle Umsiedlungsabschnitt umfasst fünf Orte: Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath. Die Bewohner*innen dieser Orte werden zusammen ebenfalls wie Borschemich nach Erkelenz-Nord umgesiedelt.
X

Holz (alt)
† 2008

X

Pesch (alt)
† 2014

X

Otzenrath (alt)
† 2007

X

Spenrath (alt)
† 2013

X

Borschemich (alt)
† 2017

X

Borschemich (alt)
† 2017

X

Keyenberg (alt)
† ca. 2026

X

Lützerath (alt)
† ca. 2022

X

Immerath (alt)
† ca. 2022

X

Kuckum (alt)
† ca. 2027

X

Unterwestrich (alt)
† ca. 2027

X

Oberwestrich (alt)
† ca. 2027

X

Berverath (alt)
† ca. 2028

X

Immerather Mühle
† 2018

X

Immerather Dom
† 2018

X

Kirche Keyenberg
† ca. 2024

X

Eggerather Hof
† ca. 2030

X

Roitzerhof
† ca. 2035

X

Weyerhof
† ca. 2035

X

Otzenrath (neu)
* 2001

X

Spenrath (neu)
* 2001

X

Holz (neu)
* 2001

X

Immerath (neu)
* 2006

X

Keyenberg, Kuckum, Westrich & Berverath (neu)
* 2016

X

Borschemich (neu)
* 2006

Britta Kox wohnt in Berverath und wird gegen 2028 umgesiedelt. Weitere Teile des Interviews mit Britta Kox finden sich auf der Seite zu Berverath.

Wie läuft ein Hausverkauf an RWE ab?

Also ich muss dazu sagen: Ich habe mit RWE noch gar nichts gemacht. Ich habe mit denen weder verhandelt, noch telefoniert, noch irgendwas, weil in dem Moment, wo du nur mit denen telefoniert hast, bist du in dieser Statistik drin als Mensch, der verhandelt.

Ich gehöre also definitiv zu den zwanzig Prozent, die noch gar nichts gemacht haben. Es ist im Normalfall so, dass RWE dich immer wieder anschreibt, bis du mal irgendwann das Gutachten machen lässt. Du kannst den Gutachter von RWE nehmen, wo ich immer sage, das ist immer so eine Sache, oder du lässt dir einen eigenen Gutachter kommen. Dann musst du das vorbezahlen und hoffen, dass du irgendwann von RWE das Geld zurückbekommst. Dann kommt der Gutachter und prüft das Haus. Der zählt jede Steckdose, jede Fliese und so weiter; und dementsprechend wird es berechnet. Wie das ganz genau abläuft, kann ich nicht sagen.

Also im Normalfall ist es ja so, dass einem wirklich der Preis des Gutachters zusteht. So steht es in den Verträgen. Das, was das Haus wert ist, plus Zulagen und so weiter, das steht einem ja zu. Aber, dann kommt natürlich wieder: Der eigene Gutachter sagt das und der Gutachter von RWE sagt was anderes und dann wird um jeden Cent gefeilscht. Und das ist das, was einen ja unheimlich mürbe macht, wo die Leute die Kraft auch verlieren. Das ist eigentlich ein Kampf.

Es ist eigentlich eher schon ein Krampf, was da abläuft, und das sind Dinge, die braucht eigentlich kein Mensch. Und ich sage immer, die wollen was von mir. Die wollen mein Haus. Die wollen mein Grundstück. Dann sollen die auf mich zukommen. Dann sollen die nicht nur schreiben. Dann sollen die gerne mal an meine Türe klingeln kommen. Ich werde nicht freiwillig zu denen hingehen und sagen, hier, ich lasse hier ein Gutachten machen und dann könnt ihr mein Haus haben. Nein. Darum sage ich klipp und klar: „Die wollen was von mir. Sollen sie kommen.“

 

Ziehen Sie mit an den neuen Ort?

Dass ich mit an den neuen Ort gehe, glaube ich eigentlich nicht. Aber ich kann es jetzt auch noch nicht sagen. Es sind jetzt noch neun Jahre, bis ich hier, wenn es denn überhaupt sein sollte, weg muss. Ich kann jetzt noch nicht entscheiden, was in neun Jahren ist. Ich weiß nicht, was in neun Jahren ist. Ob ich noch mit meinem Mann zusammen bin, ob ein Teil meiner Kinder noch zu Hause wohnt, ob ich nicht irgendwo anders hinziehen möchte. Es kann genauso gut sein, dass ich in neun Jahren sage, ich möchte auf Gran Canaria leben. Man weiß es doch nicht. Und darum möchte ich mich da auch noch gar nicht in irgendeiner Weise festlegen.

Ich kann nur sagen: Der neue Ort gefällt mir beim besten Willen nicht. Beim neuen Ort ist vorne die B57, hinten die Grünabfuhranlage. Ich lebe in einem Dorf und hier gibt es Landwirte und sehr viele unangenehme Gerüche, aber die Grünabfuhranlage hinter diesem Gebiet – dieser Geruch, der ist der Horror. Da ist jeder Geruch eines Landwirtes, eines Güllefasses, angenehm dagegen.

Dahinter sind dann dankenswerter Weise auch noch die Autobahn und die Bahngleise. Also mit der Ruhe hier im Dorf, obwohl hier Traktoren vorbeifahren und es auch laut ist morgens früh, ist das nicht zu vergleichen. Die Ruhe, die wir hier haben, im Gegensatz zum neuen Ort, ist himmlisch. Das ist ein riesengroßer Unterschied und das sind alles Beweggründe, warum ich sage: „Ich möchte eigentlich gar nicht an diesen neuen Ort ziehen.“

Es ist wirklich wie in einem Hühnerkäfig. Haus an Haus an Haus, wie auf einem Reißbrett geplant. Und es ist Stadtgebiet. Es gibt dort kein Dorfleben mehr. Es sind keine Landwirte mehr da, direkt im Ort selber, denn diese
wurden ausgelagert. Es sind hier riesige Weiten an Feldern zwischen den Ortschaften und da ist wirklich der eine Ort an dem anderen Ort dran und man fällt von Berverath nach Keyenberg im Prinzip und hier sind satte viereinhalb Kilometer zwischen Berverath und Keyenberg. Und das ist mir alles viel zu eng. Das ist kein gewachsenes Dorf in dem Sinne, wie es hier ist.

Berverath existiert sein 1377, das ist ein gewachsenes Dorf. Da ist ein Haus älter als das andere. Und da ist wirklich alles einheitlich und neu und – nein, es ist nicht meins. Es ist überhaupt nicht meins.

Alexander Tetzlaff wohnt in Keyenberg (alt) und muss in den kommenden Jahren seine Heimat verlassen. Das komplette Interview mit Alexander Tetzlaff findet sich auf der Seite zu Keyenberg.

Fünf Ortschaften werden gemeinsam an einen Ort umgesiedelt. Funktioniert das?

Erstmal bin ich so groß geworden und sehe das so, dass zwei unterschiedliche Orten umsiedeln. Denn Berverath, Ober- und Unterwestrich gehören zu Keyenberg dazu, das drücke ich auch ganz besonders aus, weil mir das sehr am Herzen liegt. Das sind zwar einzelne Orte, aber die gehören zu Keyenberg. Also reden wir von zwei Orten, nämlich Kuckum, Keyenberg verbunden mit Ober- und Unterwestrich und Berverath als zwei Dorfgemeinschaften.

Es ist schwierig an so einen nahen Ort zu ziehen und dann zu sagen, wir ziehen unser eigenes Programm, was jeweils unser Dorf- und Ortsleben betrifft, parallel durch. Ich finde auch wir würden uns dann gegenseitig das Wasser abgraben. Es gibt natürlich auch immer noch, wie das so ist, Differenzen zwischen den Dörfern. Man hört jetzt, wenn es um die Grundstücksvormerkung und den Grundstückskauf geht, aber auf dem Gebiet von Neu-Kuckum wäre ein Top Grundstück, dann hört man die Leute so: „Ne, nach Kuckum, da gehöre ich nicht hin.“ Da sage ich schon, da müssen wir daran arbeiten, wir müssen da in eine gemeinsame Zukunft schauen und dürfen nicht so sehr auf unser eigenes Ortsrecht pochen. Da müssen wir einen gemeinsamen Weg gehen. 

Da sehe ich auch für die Bruderschaften keinen anderen Weg, als zu sagen, wir bleiben vielleicht zwei getrennte Vereine, weil es ganz schwierig ist die zusammen zu führen, aber wir richten jeweils immer im Wechsel alle zwei Jahre das Schützenfest aus. Es macht anders keinen Sinn innerhalb von Wochen auf so einem kleinen Gebiet drei Schützenfeste – wenn man Borschemich noch dazu nimmt – zu feiern. Da graben wir uns gegenseitig das Wasser ab und verschenken unnötig Potential. So sehe ich das.